Sagrada Familia in Gefahr

Antonio Gaudí würde sich im Grab umdrehen, wenn er von dem neuen Vorhaben erfahren würde. Die wohl bekannteste Kirche, die jährlich über zwei Millionen Touristen anzieht, ist durch den Tunnelbau für den spanischen AVE-Schnellzug bedroht. Jordi Bonet, Chef-Architekt des monumentalen Kirchenbaus, hegt die Bedenken, dass die Tunnelarbeiten schlimme Auswirkungen auf die Struktur der Sagrada Familia haben könnten. Er forderte die Stadtverwaltung daher auf, den Tunnel so weit wie möglich von der Kirche bauen zu lassen.

Aber diese ließ sich nicht beirren: Stadtverwaltung und Bauministerium wollen ihren Tunnelverlauf nach wie vor beibehalten. Auch die Mahnungen von Lluis Bonet, Pfarrer der Sagrada Familia und einer eigens gegen den Tunnelbau ins Leben gerufenen Bürgervereinigung konnten sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Spaniens Staatssekretär für Bauwesen, Victor Morlán, erklärte, dass der Bau wie geplant durchgeführt werde und verwies auf den „doppelten“ Schutz, damit die Auswirkungen auf die Sagrada Familia „gering oder gleich null“ seien. Ein dennoch risikoreiches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass die Basilika das Wahrzeichen der spanischen Mittelmeermetropole darstellt. Über 40 Jahre arbeitete der Künstler Antonio Gaudí an dem Bau, in dem sich Jugendstil, Moderne, Kubismus und Gaudís eigene Konstruktionsformen vermischen. Dann wurde er auf dem Weg zur Sagrada Familia von einer Straßenbahn überfahren.

1883 wurde mit dem Bau begonnen und bis heute ist das Kunstwerk noch nicht vollendet. Aber die Fertigstellung rückt immer näher. Im Jahr 2026, anlässlich zum 100. Todestag von Gaudí, soll es keine Baustelle mehr um die Kirche herum geben – natürlich nur, wenn das architektonische Kunstwerk bis dahin noch steht.

Charlotte Wolter, 4. Mai 2006