Europäische Perspektiven mit Blick auf Spanien

"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde". So banal dieses satirische Zitat von Karl Valentin scheinen mag, so bringt es doch auf den Punkt, wie relativ und standortgebunden das Fremde ist.

In einem europäischen Bundesstaat mit europäischer Staatsbürgerschaft und europäischer Verfassung werden Abstammungskriterien ohnehin kaum noch eine Rolle spielen.
Die multikulturelle Gesellschaft wird die Gesellschaft der Europäischen Union. Wahrscheinlich werden Historiker rückblendend einmal feststellen, dass mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes nach 1993 und der Schaffung der Europäischen Union auf Grundlage des Maastrichter Vertrages eine Binnenwanderung innerhalb Europas begonnen hat, die den alten Kontinent verjüngen wird.
Die deutschen Unternehmen werden in erheblich größerem Maße als bisher gezwungen innerhalb der europäischen Union, auch mit deutschen Mitarbeitern, Produktionsstätten und Vertriebsorganisationen aufzubauen.
Wer im EU-Inland wirtschaftlich erfolgreich sein will, muss die Sprache und Kultur, den Lebensstil und die Mentalität dieser Länder kennen. Dies gilt nicht nur für die Manager und Techniker, auch Facharbeiter und Angestellte werden europäisch denken und arbeiten müssen.

Es wird immer mehr ausgebildete und motivierte junge Menschen geben, die eine berufliche Tätigkeit in Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Portugal, Polen und Ungarn als Anregung, als Chance und als Herausforderung begreifen, sie gerne nutzen und bestehen wollen.
Schon heute leben rund anderthalb Millionen europäische Bürger aus den EU-Staaten in Deutschland. Die mentalen und sprachlichen Barrieren, die heute noch die Niederlassungsfreiheit eher behindern, werden immer weiter abgebaut.
Der Schüler-, Studenten- und Wissenschaftleraustausch wird intensiver werden. Hunderttausende von Deutschen werden mehrere Jahre im west- und osteuropäischen Ausland verbringen. Nicht nur zwischen Studenten, sondern auch zwischen Arbeitnehmern wird es zu unzähligen menschlichen Begegnungen kommen.

Umberto Eco hat einmal eine konkrete Vision für einen Teilbereich der europäischen Einigung entworfen. Er schrieb über das europäische Bildungsprogramm Erasmus: Dieses Projekt wird bewirken, dass jeder Student der Europäischen Gemeinschaft ein Jahr im Ausland verbringt.
Bei dieser Wanderung von Tausenden von Studenten wird es zu Zehntausenden von Mischehen kommen. Innerhalb von dreißig Jahren wäre die europäische Elite europäisch im echten Sinne des Wortes.
Ein Europa der praktizierten Freizügigkeit kann dazu führen, dass man in der Bundesrepublik Deutschland geboren wird und aufwächst, in Großbritannien studiert, später in Deutschland wird der Nachbar Belgier, der Arbeitskollege Türke, die Schwiegertochter Dänin und der Vereinskamerad Spanier oder Ungar sein.

Schon heute vollzieht sich eine Europäisierung, ja sogar Internationalisierung unseres Lebens. Was wir schon seit Jahrhunderten haben: die europäische Vielfalt, der Produkte, des Essens und des Trinkens, der Literatur, der Musik und der Malerei, der Wissenschaft und der Forschung, der Mode, des Designs wird – und das ist neu – ein Massenerlebnis unseres Alltags.

Es sind die Merkmale einer bereits existierenden und wachsamen multikulturellen Gesellschaft, wie sie dem Erbe der Aufklärung, den Zielen der beiden europäischen Revolution und der Idee der Republik entspricht

Autor: Dr. Heiner Geißler

Sollten Sie andere Erlebnisse gehabt haben, teilen Sie es uns mit, wir veröffentlichen gerne Ihre Meinung: info@auswandern.com

google center mitte